Trauma verstehen und heilen: Wie 7 Experten den Weg aus seelischen Verletzungen zurück ins Leben zeigen

Trauma verstehen und heilen: Wie 7 Experten den Weg aus seelischen Verletzungen zurück ins Leben zeigen

Autor: Matthias Röderstein  •  Zuletzt aktualisiert: 24.08.2025

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Trauma ist weit mehr als dramatische Einzelereignisse – es ist eine seelische Verletzung, die fast jeden von uns betrifft. Die Dokumentation „Durch das Trauma in das Leben“ von Freelosophy offenbart durch sieben führende Experten, wie tiefgreifend traumatische Erfahrungen und belastende Erlebnisse unser Leben prägen. Die psychischen Folgen von Trauma zeigen sich oft erst Jahre später. Gleichzeitig macht der Film Mut, dass Heilung möglich ist und wie Betroffene ihre Lebensqualität zurückgewinnen können.

Die 78-minütige Dokumentation folgt einer klaren logischen Dreischritt-Struktur: Problem verstehen, Ideal aufzeigen, Lösungen präsentieren. Was diese Analyse so wertvoll macht, ist die Vielfalt der Ansätze – von körperbasierter Arbeit bis hin zu systematischer Psychotherapie zeigen die Experten, dass es nicht den einen Weg gibt, sondern verschiedene Türen zurück in die Lebendigkeit.

Dokumentation "Durch das Trauma in das Leben" von Freelosophy
Dokumentation „Durch das Trauma in das Leben“ von Freelosophy

5 zentrale Erkenntnisse aus der Trauma-Dokumentation

1. Trauma ist universell: Fast jeder trägt Entwicklungstrauma aus der Kindheit in sich – nicht nur Menschen mit außergewöhnlich belastenden Ereignissen oder Naturkatastrophen..

2. Das Nervensystem speichert alles: Traumatische Erlebnisse leben als eingefrorene Energie im Körper und brauchen körperbasierte Heilungsansätze.

3. Sicherheit aktiviert Selbstheilung: Ohne das Gefühl von Sicherheit kann kein Betroffener heilen – egal welche Methode verwendet wird.

4. Gesellschaft verstärkt Traumata: Unsere Leistungsgesellschaft verstärkt traumatische Muster durch Wettbewerb und Anpassungsdruck.

5. Freiheit ist das Gegenteil von Trauma: Heilung bedeutet die Rückkehr zur ursprünglichen Fähigkeit, spontan und authentisch zu reagieren.

Was ist ein Trauma wirklich? Die zwei Gesichter seelischer Verletzungen

Die Dokumentation beginnt mit einer fundamentalen Unterscheidung, die das herkömmliche Trauma-Verständnis bereichert. Denn der Begriff Trauma wird oft missverstanden. Es geht um den Unterschied zwischen Schocktrauma und Entwicklungstrauma.

„Ein Schocktrauma ist das, was so ein Soldat erlebt, wenn er irgendwie was Schlimmes hat oder wenn wir ein Autounfall hatten“, erläutert Benedikt Zeitner, Heilpraktiker und Coach. Solche akuten, einmaligen Ereignisse entsprechen dem klassischen Bild einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). 

Doch die wahre Erkenntnis liegt im Entwicklungstrauma: „Entwicklungstrauma bedeutet, dass im Zuge meiner Entwicklung, also ungefähr in den ersten 20 Jahren meines Lebens, wesentliche Entwicklungsbedürfnisse von mir nicht erfüllt waren.“ Diese seelischen Verletzungen entstehen nicht durch spektakuläre Ereignisse, sondern durch subtile, aber chronische Mangelversorgung mit Sicherheit, Gesehen-werden und Autonomie.

Dr. Peter Levine, Begründer der Somatic Experience Therapie, definiert Trauma als „eine Wunde, die unseren Körper betrifft, unseren Geist, unsere Psyche, unser Gehirn beeinflusst. Es betrifft die Gesamtheit dessen, was wir sind.“ Diese ganzheitliche Sichtweise erklärt, warum reine Gesprächstherapie bei traumatischen Belastungen oft an ihre Grenzen stößt.

Wie entstehen traumatische Symptome? Das eingefrorene Nervensystem

Die Entstehung von Trauma folgt einem biologischen Muster, das alle Säugetiere teilen. Wenn ein Ereignis zu schnell, zu viel oder zu überwältigend ist, schaltet das Nervensystem ab, um das Überleben zu sichern. Körperforscherin Ilan Stephanie beschreibt es so: „Ein Nervensystem nach einer überwältigenden Situation muss eine einzige Sache erleben… Dieses Nervensystem muss erleben, ich bin sicher.“

Fehlt diese Sicherheit, friert die Stressenergie im Körper ein. Michael Begelspacher, Coach und Autor, erklärt den Mechanismus: „Der Körper schaltet jetzt ab, zack, abgeschaltet und friert jetzt die Energie ein. Im Körper ist also gebundene Energie und das ist das Problem.“

Diese eingefrorene Energie manifestiert sich später als verschiedene psychosomatische Symptome und Beschwerden: irrationale Ängste, explosionsartige Wut, chronische Unruhe oder völlige emotionale Taubheit. Betroffene leiden nicht am ursprünglichen Ereignis, sondern an den Anpassungsmechanismen, die damals das Überleben sicherten, heute aber zur Belastung geworden sind.

Welche Rolle spielt die Psyche bei traumatischen Belastungen?

Die Psyche entwickelt nach traumatischen Ereignissen komplexe Schutzmechanismen und Belastungsreaktionen. Diese normale Reaktion auf belastende Situationen wird problematisch, wenn sie chronisch wird.

Ramón Schlemmbach, klinischer Psychologe, beschreibt die Auswirkungen: „Ein Trauma verändert meine komplette Lebenswahrnehmung von mir und der Welt.“ Betroffene laufen wie mit einer getönten Brille durchs Leben, die alles verzerrt.

Besonders deutlich wird dies bei den drei Hauptsymptomen traumatischer Prägung: Erstens entstehen irrationale Ängste aus unterdrückter Kampf-Flucht-Energie. Gopal Norbert Klein erklärt: „Wenn ich Wut unterdrücke, dann wird das zu Angst. Das ist der Zustand, den wir Angst nennen. Unterdrückte Wut.“

Zweitens entwickelt sich oft ein tiefgreifendes Schamgefühl. Scham ist das Gefühl, grundlegend falsch zu sein – nicht nur etwas falsch gemacht zu haben. Sie entsteht, wenn Kinder für ihr Wesen kritisiert werden statt für ihr Verhalten. Drittens kann emotionale Taubheit auftreten, wenn das System komplett abschaltet, um sich zu schützen.

Wie zeigen sich Traumata bei Betroffenen heute?

Traumatische Belastungen aus der Vergangenheit wirken wie unsichtbare Fäden, die heutige Reaktionen steuern. Oliver Ruppel, Hypnosetherapeut, beschreibt den chronischen Notlagenmodus: „Wir laufen sozusagen in der Illusion herum, wir seien bedroht, laufen aber hier im Frieden.“

Die Symptome sind vielfältig und oft schwer zu erkennen: Viele Betroffene leiden unter innerer Unruhe und Schreckhaftigkeit. Manche Betroffene reagieren bei kleinsten Auslösern mit enormer Intensität. Ein kritischer Blick reicht aus, um sie in alte Überlebensmuster zu katapultieren. Andere leben in permanenter Hypervigilanz – ständig auf der Hut vor möglichen Bedrohungen, obwohl objektiv keine Gefahr besteht.

Besonders heimtückisch ist die Dissoziation – Betroffene beschreiben es als „neben sich stehen“. Sie erleben sich selbst wie von außen und haben das Gefühl, nicht wirklich in ihrem Leben anzukommen. Diese normale Reaktion auf außergewöhnlich belastende Erfahrungen wird zum Problem, wenn sie chronisch wird und die Lebensqualität beeinträchtigt.

Können traumatische Erfahrungen von Generation zu Generation übertragen werden?

Die Dokumentation berührt auch die transgenerationale Übertragung von Traumata. Nicht verarbeitete traumatische Erfahrungen der Eltern werden unbewusst an die nächste Generation weitergegeben – nicht genetisch, sondern durch Beziehungsmuster und Erziehungsstile. Diese Traumatisierungen in der Kindheit haben oft tiefgreifende Auswirkungen.

Kinder spüren intuitiv die ungeheilten Wunden ihrer Eltern und entwickeln entsprechende Anpassungsstrategien. Ein traumatisierter Elternteil, der seine eigenen Bedürfnisse nicht kennt, kann diese auch bei seinem Kind nicht erkennen und erfüllen. So entstehen neue seelische Verletzungen, auch ohne dramatische Ereignisse.

Benedikt Zeitner beobachtet: „Unsere Gesellschaft ist momentan definitiv stark trauma-geprägt. Es gibt ganz viele Bestandteile unserer gesellschaftlichen Spielregeln, die eigentlich Trauma-Überlebensstruktur sind.“ Das Schulsystem mit seinem Wettbewerbsdenken verstärkt traumatische Muster, anstatt Heilung zu ermöglichen.

Was ist das Gegenteil von seelischen Verletzungen?

Die Experten sind sich einig: Das Gegenteil von Trauma ist nicht die Abwesenheit von Problemen, sondern Freiheit – die Fähigkeit, flexibel und authentisch auf das Leben zu reagieren. Ilan Stephanie beschreibt es als „Balance“: „Das Nervensystem, der Mensch kann sich balancieren in seinen Rhythmen, wie auch immer sie gerade gebraucht sind.“

Diese Freiheit bedeutet nicht, dass man keine intensiven Gefühle mehr hätte. Im Gegenteil – geheilte Menschen können die volle Bandbreite menschlicher Emotionen erleben, ohne von ihnen überwältigt zu werden. Nach erfolgreicher Trauma-Heilung beschreiben Menschen ein faszinierendes Phänomen: Sie können plötzlich jeden Menschen lieben. Nicht, weil sie zu naiv geworden wären, sondern weil sie hinter den Fassaden die verletzten Kinder sehen können.

Heilung ist kein gradueller Prozess – es ist ein Quantensprung. Wie Ilan Stephanie erklärt: „Traumheilung ist ein Quantensprung in Sachen Lebendigkeit.“ Menschen berichten von dramatischen Veränderungen: Plötzlich können sie Nähe zulassen, Sexualität wird wieder möglich, sie hören auf ständig zu performen und beginnen zu leben.

Michael Begelspacher fasst es zusammen: „Du wirst so sein wie du bist. Du musst nicht irgendwie schauen, dass du kein Mensch mehr bist, dass du keine Traumaenergie in dir hast.“ Heilung bedeutet nicht Perfektion, sondern die Fähigkeit, mit dem umzugehen, was auftaucht.

Die 7 Lösungswege: Aus der Theorie in die Praxis

Die Dokumentation stellt sieben verschiedene Ansätze vor, die alle eines gemeinsam haben: Sie arbeiten mit dem Körper und schaffen sichere Beziehungserfahrungen. Jeder Experte fand auf seiner individuellen Reise zu seinem spezifischen Ansatz – von Levines Beobachtung der Tierwelt über Begelspachers persönliche Krise bis zu Stephanies körperbasierte Durchbrüche.

Dr. Peter Levine: Der Körper weiß, wie Heilung geht

Dr. Peter Levine revolutionierte das Trauma-Verständnis mit einer einfachen Beobachtung: Tiere in der Wildnis entwickeln keine Traumata, obwohl sie ständig bedroht sind. Sie schütteln die Stressenergie einfach ab.

Seine Somatic Experience Therapie arbeitet mit diesen natürlichen Mechanismen. Statt zu reden, wird gespürt. Statt zu analysieren, wird gefühlt. Der Körper weiß instinktiv, was er braucht – wenn wir ihn lassen.

Praktischer Ansatz: Sanfte Körperarbeit, die eingefrorene Energie wieder in Bewegung bringt, ohne das System zu überlasten.

Ilan Stephanie: Schütteln als Heilungsweg

Ilan Stephanie entwickelte das „Schüttel-Protokoll“ – eine kraftvolle Methode, die jeder sofort anwenden kann. Ihr dreistufiger Prozess aktiviert die natürliche Vibrationsfähigkeit des Nervensystems.

Praktischer Ansatz: Bewusste Vibration löst traumatische Erstarrung und gibt dem Nervensystem neue Wahlmöglichkeiten.

Michael Begelspacher: Direkt zum Kern

Michael Begelspacher arbeitet ohne Umwege. Seine Methode: „Der direkteste Weg ist zu deinem Schmerz ohne Schnickschnack.“ Keine langen Vorgespräche, keine komplexen Techniken. Er entwickelte eine integrative Methode, die tief verwurzelte Verletzungen des inneren Kindes anspricht. Basierend auf über 20 Jahren Praxis verbindet sie psychologische, soziale, spirituelle und körperliche Arbeit.

Praktischer Ansatz: Direkte Konfrontation mit dem Schmerz unter dem Problem, ohne Ablenkungen oder Ausflüchte.

Gopal Norbert Klein: Beziehung heilt Beziehungstrauma

Gopal Norbert Klein erkannte: Die meisten Traumata entstehen in Beziehungen – also müssen sie auch dort heilen. Seine Methode fokussiert die vier Grundängste: weggeschickt, übersehen, kontrolliert oder verletzt zu werden.

Sein „Ehrliches Mitteilen“ ist besonders kraftvoll für Menschen, die „nichts fühlen“. Seine Erkenntnis: Wer keinen Zugang zu Gefühlen hat, kann über das Ehrliche Mitteilen wieder in Verbindung kommen. Sein Buch „Der Vagus-Schlüssel zur Traumaheilung“* ist Spiegel-Bestseller.

Praktischer Ansatz: Sichere Beziehungserfahrungen schaffen, in denen alte Projektionen durch echten Kontakt ersetzt werden.

Oliver Ruppel: Zurück in den eigenen Körper

Oliver Ruppel ist u.a. Medizinischer Leiter des Instituts für Hypnosetherapie und spezialisiert sich auf Dissoziation – Menschen, die „neben sich stehen“. Seine Hypnosetherapie hilft dabei, wieder aus den eigenen Augen zu schauen statt von außen auf sich zu blicken.

Praktischer Ansatz: Strukturiertes Training, um aus der Beobachterposition zurück in den direkten Selbstkontakt zu finden.

Benedikt Zeitner: Die Kraft der Gruppe

Benedikt Zeitner nutzt die transformative Kraft ehrlicher Begegnungen. In seinen „Deep Honesty“ Gruppen erleben Menschen, dass sie gerade dann geliebt werden, wenn sie ihre „hässlichen“ Seiten zeigen.

Praktischer Ansatz: Gruppendynamik für soziale Heilung, besonders bei Scham und sozialen Ängsten.

Ramón Schlemmbach: Systematische Kindheitsmuster-Auflösung

Ramón Schlemmbach, Klinischer Psychologe M.Sc und systemischer Paartherapeut, entwickelte einen strukturierten Vierschritt-Prozess: Kindheitsprägung identifizieren → Ursprungssituation finden → Glaubenssätze auflösen → Verhalten ändern.

Praktischer Ansatz: Klarer, nachvollziehbarer Prozess für Menschen, die strukturiert an ihrer Vergangenheit arbeiten wollen.

Was du heute tun kannst

Der Film endet nicht bei der Theorie. Jeder Experte gibt konkrete Schritte, die sofort umsetzbar sind:

  • Beginne mit 3 Minuten täglichem Schütteln (Stephanie)
  • Spüre deine Worst-Case-Szenarien körperlich (Begelspacher)
  • Teile deine Gedanken in sicheren Räumen mit (Klein)
  • Suche dir eine Gruppe für ehrliche Begegnungen (Zeitner)
  • Arbeite systematisch deine Kindheitsmuster auf (Schlemmbach)

Was ich persönlich aus diesem Film mitnehme

Diese Dokumentation hat mein Verständnis von menschlichem Leiden verändert. Die wichtigste Erkenntnis für mich: Wir sind nicht kaputt oder falsch – wir tragen nur eingefrorene Überlebensstrategien aus der Kindheit in uns.

Sehr aufschlussreich war für mich die Einigkeit aller Experten in einem Punkt: Sicherheit ist die Grundvoraussetzung für jede Heilung. Das bedeutet, ich muss nicht nur an meinen Symptomen arbeiten, sondern vor allem sichere Räume schaffen, in denen Transformation überhaupt möglich wird.

Eine ganz starke Passage war für mich so ab Minute 39, in der alle Experten auf die Frage „Wie sieht ein Leben ohne traumatische Belastungen aus?“ antworteten. Hier wurde es teilweise persönlich in den Erzählungen. Durch die verschiedenen Sichtweisen konnte ich mir das Ideal – das traumafreie Leben – sehr plastisch und auch zugänglich bildhaft vorstellen.

Die Vielfalt der Ansätze macht Hoffnung und nimmt auch den Druck, die eine „richtige“ Methode finden zu müssen. Jeder Mensch braucht seinen eigenen Weg zurück zu sich selbst. Das zeigt, dass Heilung kein Zufall ist, sondern machbar und ggf. sogar erlernbar.

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Matthias Röderstein

Matthias Röderstein ist zertifizierter Emotionscode-Practicioner (CECP) nach Dr. Bradley Nelson.

Website: https://ideesigner.com •  Business-Profil: LinkedIn

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